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Hinweis: Bitte beachten Sie, dass sich einige Regelungen des BGB inzwischen geändert haben können. Legen Sie bitte immer die aktuelle Gesetzesfassung zugrunde.
Wie die Träger der öffentlichen Jugendhilfe, müssen auch die Träger der freien Jugendhilfe gesetzlich und vertraglich festgelegte Regelungen zum Kindesschutz einhalten.
Im Kern geht es darum,
- Kindeswohlgefährdungen zu erkennen und
- für deren Beendigung zu sorgen.
Entweder durch Hilfen oder durch Information des Jugendamtes.
Missachten Mitarbeitende diese Regeln, können sie persönlich verantwortlich gemacht werden. Ihnen drohen
- arbeitsrechtliche
- strafrechtliche und
- haftungsrechtliche (Schadensersatz)
Konsequenzen.
Im Folgenden werden die Handlungsaufträge im Einzelnen beschrieben.
Gesetzliche und vertragliche Grundlagen
Gesetzliche Grundlage für den Schutzauftrag der Einrichtungen und ihrer Mitarbeitenden bei Kindeswohlgefährdung ist:
Lies: § 8a Abs.4 SGB VIII
Dieser Paragraf verpflichtet die Träger der freien Jugendhilfe, mit “ihren” Jugendämtern vor Ort Verträge abzuschließen. In diesen Verträgen sind Aufgaben des Trägers der freien Jugendhilfe bei der Wahrnehmung des Schutzauftrages im Einzelnen geregelt. In nahezu allen Kommunen und Landkreisen gibt es hierzu gleichartige
- Mustervereinbarungen zur Sicherstellung des Schutzauftrages nach § 8a Absatz 4 SGB VIII.
An wen richtet sich der Schutzauftrag in Einrichtung?
Die Schutzpflichten zugunsten der Kinder und Jugendlichen richten sich an:
- Mitarbeitende in stationären Wohnformen,
- Mitarbeitende bei ambulanten Leistungen,
- Pflegepersonen in Pflegefamilien und an
- Mitarbeitende in familienähnlichen Betreuungsformen.
Das Leitungspersonal in Einrichtungen ist verpflichtet, die organisatorischen Rahmenbedingungen für die Wahrnehmung des Schutzauftrages sicherzustellen.
Alle Mitarbeitenden in Jugendhilfeeinrichtungen sollten diese Verträge kennen und sich diese von den Leitungen zur Verfügung stellen lassen. Die jeweiligen Leitungen sind gehalten, die Mitarbeitenden mit dem Inhalt der Vereinbarungen zur Sicherstellung des Schutzauftrages bekannt zu machen.
Gewichtige Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung
Das Gesetz verlangt von den Mitarbeitenden konkrete Handlungsschritte, wenn
- gewichtige Anhaltspunkte
für eine
- Kindeswohlgefährdung
bekannt werden.
Kindeswohlgefährdung
Eine Kindeswohlgefährdung wird von der Rechtsprechung wie folgt definiert:
“Eine gegenwärtige, oder zumindest unmittelbar bevorstehende Gefahr für die Kindesentwicklung muss abzusehen sein, die bei ihrer Fortdauer eine erhebliche Schädigung des körperlichen, geistigen oder seelischen Wohls des Kindes mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt.”
Gewichtige Anhaltspunkte
Mit der Formulierung “gewichtige Anhaltspunkte” will der Gesetzgeber ausdrücken, dass die Schutzpflichten bei Kindeswohlgefährdung nicht erst dann beginnen, wenn das Kindeswohl schon gefährdet ist, das Kind also schon “in den Brunnen gefallen ist”. Die Schutzpflichten beginnen vielmehr schon dann, wenn bloße Anhaltspunkte für eine Gefährdung vorliegen. Damit soll schon im Vorfeld von Kindeswohlgefährdungen gehandelt werden. Auch bei begründeten Verdachtsfällen muss gehandelt werden.
Beispiele:
- äußeres Erscheinungungsbild
- erhebliche Verletzungen, typischerweise durch Gewaltanwendung hervorgerufen
- starke Unterernährung
- desolate Körperhygiene (Schmutz- und Kotreste, Ungeziefer)
- witterungsunangemessene Kleidung
- Verwahrlosung
- Verhalten des Kindes
- Völlige Distanzlosigkeit/Aggressivität/Unangemessenheit
- Selbst-/Fremdgefährdung
- Äußerungen deuten auf Misshandlung, Missbrauch, Vernachlässigung
- Eindruck von Drogen- /Alkoholkonsum
Handlungspflichten der Mitarbeitenden
Liegen solche gewichtigen Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung vor, bestehen folgende Handlungspflichten:
- Die Fachkräfte müssen eine Gefährundungseinschätzung vornehmen, wenn ihnen “gewichtige Anhaltspunkte” für eine Kindeswohlgefährdung eines von ihnen betreuten Kindes bekannt werden.Praxistipp: Die Abschätzung zu den “gewichtigen Analtspunkten” für eine Kindeswohlgefährdung muss in drei Schritten erfolgen:
- Tatsachengrundlage beschreiben – Tatsachen sind von Wertungen zu unterscheiden. Z.B.: Eine Tatsache ist: Im Kühlschrank befanden sich verschimmelte Lebensmittel. Keine Tatsache, sondern ein Werturteil ist: Der Kühlschrank machte einen unsauberen Eindruck.
- Gefährdungseinschätzung auf Grundlage der festgestellten Tatsachen vornehmen – Lassen die Tatsachen darauf schließen, dass eine Kindeswolgefährdung vorliegt?
- Die Gefährdungseinschätzung muss durch die Fachkraft schriftlich dokumentiert werden.
- Bei der Gefährdungseinschätzung muss eine Fachkraft hinzugezogen werden, die im Bereich der Gefährdungseinschätzung erfahren ist (“erfahrene Fachkraft”).
- Die Erziehungsberechtigten sowie das Kind oder der Jugendliche sind grundsätzlich in die Gefährdungseinschätzung einzubeziehen.
- Die Erziehungsberechtigten sowie das Kind oder der Jugendliche müssen ausnahmsweise nicht einbezogen werden, wenn sonst der wirksame Kindesschutz in Frage gestellt würde.Praxistipp: Vor allem bei Missbrauchs- und Misshandlungsfällen kann es sinnvoll sein, die Erziehungsberechtigten bzw. die Person, von der die Handlung ausgeht, nicht einzubeziehen. Denn andernfalls hätte diese Person die Möglichkeit, Einfluss auf das Kind oder die anderen Famlienmitglieder zu nehmen und so für eine “Mauer des Schweigens” zu sorgen. Ein Weg kann auch sein, zum Beispiel nur einen Elternteil einzubeziehen, wenn erwartet werden kann, dass so die Kindeswohlgefährdung beseitigt oder unterbunden werden kann.
- Die Fachkräfte müssen darauf hinwirken, dass die Erziehungsberechtigten (weitere) Hilfen annehmen, wenn dies für erforderlich gehalten wird.Praxistip: Hilfsangebote sind sinnvoll, wenn die Betroffenen eine Problemeinsicht haben und Hilfe akzeptieren. Weiter ist erforderlich, dass sie auch in der Lage sind, mit Hilfe die Gefahr abzuwenden. Wenn die Eltern zwar Hilfe annehmen wollen, die Hilfe aber das Kind trotzdem nicht wirksam schützt, ist der Ansatz, die Gefährdung über Hilfen abzuwenden keine Option. Dann muss das Jugendamt informiert werden.
- Wenn die Gefährdung nicht anders abgewendet werden kann, muss zwingend das Jugendamt informiert werden.Praxistipp: Manchmal ist es so, dass Einrichtungsmitarbeiter eine Situtation als dringende Kindeswohlgefärdung einschätzen, die Mitarbeiter des Jugendamtes dagegen keinen Handlungsbedarf sehen. Handeln Sie in einer solchen Lage allein aufgrund Ihrer eigenen Überzeugungen. Lassen Sie sich von einer formellen Mitteilung an das Jugendamt nicht durch die Erwartung abhalten, das Jugendamt werde ohnehin nicht handeln. Denn: passiert dem Kind etwas, werden gegebenenfalls Sie allein für ihr Handeln verantwortlich gemacht. Gleiches gilt, wenn Vorgesetzte oder Kollegen andere Einschätzungen haben. Daher: Handeln Sie nach Ihren Überzeugungen. Handeln Sie förmlich und machen Sie eine schriftliche Mitteilung an das Jugendamt, wenn dies nach Ihrer Einschätzung erforderlich ist.
- Ist die Sache eilbedürftig, muss das Jugendamt unbedingt auf die Eilbedürftigkeit hingewiesen werden. Außerdem muss die Tatsachengrundlage für die Eilbedürftigkeit benannt werden.Beispiele: Ein Säugling ist wegen unzureichender Versorgung durch die Eltern unmittelbar an Leib oder Leben bedroht. Es kommt zu fortgesetzter Gewaltanwendung gegen ein Kind.